Rehggae

Ich war geschockt. Mein Vater hatte mich vergiftet? Die ersten Momente wusste ich nicht, was ich denken sollte. Ich zwang mich, ihn nicht anzusehen. «Bei mir war es dasselbe», begann er plötzlich wieder. «Robert. Er hat es mir später gestanden.» Er schwieg. Drehte sich zu mir. Anscheinend hatte er bemerkt, dass ich meine Augenbrauen zusammengezogen hatte. «Auch ich war wütend.» Als er seine Hand auf meine legte, zuckte ich kurz, wollte sie wegreissen. Doch er hielt sie fest. Blickte mir tief in die Augen. «Du musste zu ihm gehen.» «Zu wem?» «Zum Imperrehtor.» «Ich muss was?», fuhr ich ihn an. Und dann erzählte er mir, was sich die letzten Wochen verändert hatte. Warum er sich gezwungen gesehen hatte, mich ins Boot zu holen. Wie sehr er mit sich gekämpft hatte, es auf diese Art und Weise zu machen. Und dabei hatte er gewusst, dass dies der einzige Weg ist. Weil es bei ihm selbst nicht anders gewesen ist. Der Vorgang sei immer derselbe. Ein Mitglied erhält einen Anruf von einer oberen Stelle und muss sich beim Imperrehtor einfinden. Meistens geht das mit einer Beförderung einher, mit einer Steigerung der Rehputation. Um diesen nächsten Rang dann auch wirklich zu erhalten muss man sich verpflichten, die Rehkrutierung durchzuführen. Meistens handelt es sich dabei um enge Verwandte oder Freunde. In einem ersten Schritt muss man sich ihnen als Reh zu erkennen geben. Das Unverständnis, dass darauf folgt, verunsichert die Rehkruten meistens. Diese Unsicherheit wird dann von einer weiteren nahestehenden Person ausgenutzt, um die Rehkruten in ihren Zweifeln an der Ordnung der Welt zu bestärken. Und sie zurück zur Ausgangsperson zu treiben.

Er blickte mich tief an. Ich war wie gelähmt von seiner Offenheit. Die Dreistigkeit, mit der mir gerade auf abgebrühteste Art und Weise erzählt hatte, wie er mich hinters Licht geführt hatte, hatte mich derart überrumpelt, dass ich unfähig gewesen war, irgendeine Art von Reaktion darauf zu sagen. Und noch jetzt, nachdem er schon wieder gut eine Minute schweigend in seinem Eck sass, war ich noch zu sehr damit beschäftigt meine Gedanken zu ordnen, als dass ich irgendetwas hätte sagen oder tun können. Meine ersten Worte waren daher nur ein Stottern. «Und was ist… ich meine, was war… wie… Edi hat arbeitet für euch?» Mein Vater blickte nur kurz auf. Eigentlich hätte ich aufstehen und rennen wollen, doch seit ein paar Sekunden prangte wieder ein riesiges Geweih am Kopfe meines Vaters. Anstatt meine Frage zu beantworten sagte er: «Es ist sinnlos, wenn du fragst. Du bist bereits ein Teil von uns. Ein Widerstand ist nicht nur zweck- sondern auch nutzlos.» Mit einem Schlag war jede Vertrautheit aus seinem Blick und seiner Stimme gewichen. Konnte das mein Vater sein? Wie gelähmt sass ich auf der Gartenbank und umklammerte mein Weinglas. Als ich meine Blicke wieder auf das Rehagenzglas richtete stockte mir plötzlich der Atem. Er hatte Recht. Es war zwecklos. Die Geweihe auf den Köpfen der Menschen, die mich umgaben: Sie würden nicht mehr weggehen. Hätte ich eine Stimme gefunden, ich hätte geschrien. Mein hilfesuchender Blick traf meinen Vater in den Nacken. Er war inzwischen zur Stereoanlage gegangen und legte eine CD in den Player. «Ich werde dir jetzt ein paar Dinge verraten. Sie werden dir helfen zu begreifen. Wenn du morgen zum Imperrehtor gehst, wird genug Neues auf die eintreffen. Ich möchte dir die Möglichkeit geben ein Gefühl für das zu entwickeln, was ab heute deine Welt sein wird.» Er hatte auf Play gedrückt. Während die CD geladen wurde, drehte er sich um. «Das erste und gleichzeitig Wichtigste, dass du wissen muss ist: Wir sind überall. Es gibt keinen Bereich des menschlichen Lebens, in dem wir nicht sind.» Bob Marley begann im Hintergrund zu spielen. «It`s Rehggae-Time.», sagte mein Vater, setzte sein Weinglas an und lächelte.

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