…. «Moment mal, der Imperrehtor?». Ganz eindeutig: Mein Vater war verrückt geworden. Er sollte in Wirklichkeit ein Reh sein? Und ich sei auserwählt? Nein! Niemals würde es passieren, dass das Reh irgendwie in meine Gedanken kommen würde.

Ich nahm einen Schluck vom Rehbensaft, den wir uns eingeschenkt hatten und sah ihm tief in die Augen. Sie strahlten. Sie strahlten so innig, dass mir selbst fast die Trehnen gekommen wären. Ich atmete tief ein. Konnte es nicht vielleicht…. Doch nein! Unsinn. Aber wenn er so stark daran glaubte, dann könnte doch vielleicht…. Und dann noch die Ohren; das Geweih! Und ausserdem: Er war mein Vater. Ich konnte doch nicht… Ich musste ihm doch zumindest eine Chance geben, sich zu erklären. Innerlich seufzte ich tief. Äusserlich gab ich ihm zu erkennen, dass er fortfahren sollte. Ich nickte. Also erzählte er.

«…hat er gesagt, dass es sie schon lange gibt, viel länger, als man sich das vorstellen würde. Am Anfang hatten sie im Untergrund agiert. Und so war es ihnen gelungen sich langsam in die Gesellschaft zu integrieren. Zuerst über das einfache Volk und dann immer weiter hinauf in die höchsten gesellschaftlichen Schichten. Anfangs hat er ja nur ein paar Namen gesagt, aber  – meine Güte! – wenn ich damals schon gewusst hätte, wie weite Kreise das zieht, ich wäre sofort…», er schluckte. Er war in richtige Aufregung geraten. Ich konnte den Schweiss auf seiner Stirn sehen; die Rehohren zuckten nervös. Mehr noch als am Beginn war ich davon überzeugt, dass er übergeschnappt war. Die Ohren und das Geweih mussten  Maskerade sein. Ich erinnerte mich, dass er mir vor ein paar Jahren erzählt hatte, dass er jetzt Mitglied beim Faschingsverein sei. Der Gedanke entspannte mich plötzlich. Das musste die Erklärung sein.

 

Ich musste wohl ein paar Augenblicke unaufmerksam gewesen: Die Augen meines Vaters suchten hilfesuchend in meinem Blick nach Halt. Ich setzte ein Lächeln auf und um ihm aus der unangenehmen Situation zu befreien sagte ich: «Okay, okay, das klingt ja sehr… spannend. Und du hast gesagt, dass es diese Rehe schon sehr lange gibt. Wer war denn der erste?» Sein Blick erhellte sich. «Gut dass du fragst! Das war ein Punkt, der damals besonders grossen Eindruck auf mich gemacht hat.» Plötzlich schwieg er und setzte ein besonders ernstes Gesicht auf. «Es war der Imperrehtor selbst gewesen. Gewissermassen.», sagte er mit tiefer leiser Stimme. Meine hochgezogenen Augenbrauen dürften genau das gewesen sein, was er als Reaktion erwartet hatte, denn er lächelte. «Ja, so habe ich auch dreingeblickt, damals. Die Sache ist die…» – er machte noch eine Pause, um die Spannung auf die Spitze zu treiben. «Er ist nämlich die Rehinkarnation des Rehs.»

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